Der Ort

Torri del Benaco am Gardasee

 

„Ich liebe den Beginn der südlichen Weite, nach der allmählichen Abstufung vom Gebirge zu steilen Hängen und länglichen Buckeln, aber noch vor den Hügel des Weins: wenn die Präzision der Felsen längst verschwunden ist im irritierenden Silberrauch der Oliven, doch schließlich in anderer Gestalt wieder auftaucht, in steilen Zypressen, die zu beiden Seiten des Sees sein Auseinanderdrängen flankieren, dort eine eigene Landschaft aus botanischen Fingern bilden, eine mit fließender Grenze zwischen Hartem und Weichem, zwischen Wachheit und Schlaf, eine schmale, besonders am Westufer ausgeprägte Zone des Übergangs, die von jeher für den Geist ihre Anziehung hatte, ob für Dante, den politisch bedrängten oder Goethe, den Italiensucher, ob für D.H. Lawrence in privater Bedrängnis oder D‘ Annunzio in seiner  Weltflucht. Eine nicht klar umrissene, geradezu schwebende Landschaft von schon gefährlicher Attraktivität, gefährlich durch eine Versammlung von Schönem, die sich im Sommer immer mehr zusammenschließt und am Ende geradezu ballt, in den Nächten des Augusts mit ihren fallenden Sternen, schneller als jeder Wunsch und einem beunruhigend roten Mond, mit fernem Wetterleuchten, das von Nacht zu Nacht heftiger wird, und großen, seidigen Faltern, todgeweiht wie der Sommer, eine Ballung, die uns, wie unter Zwang an ihr Gegenteil denken lässt: an die endgültige Abwesenheit alles Schönen, an unser eigenes Erlöschen.“

(aus: Bodo Kirchhoff, Der Sommer nach dem Jahrhundertsommer. Die Erzählungen aus 25 Jahren)